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Sebastian's article about user experience in the physical space in Markenartikel Magazin.

The article poses the question how architects can apply brand- and user centric thinking to the development of construction projects. 

Marken-DNA in Architektur übersetzen

Die Veränderungen durch die digitale Revolution verlangen eine agile und nutzerorientierte Herangehensweise bei der Gestaltung physischer Markenarchitektur. Dabei ist wichtig, dass Auftraggeber, Architekten und User Experience Designer zusammenarbeiten.

KUNDEN ERWARTEN nahtlos integrierte, physische und digitale Markenerlebnisse. Unternehmen, die sich nicht darauf einstellen, drohen vom Markt verdrängt zu werden. Der Deutsche Handelsverband prognostiziert, dass bis 2020 bis zu 50.000 Einzelhändler schließen werden. Zugleich versuchen Markenhersteller in einem zunehmend fragmentierteren Medien- und Vertriebsumfeld über Markenerlebnisse noch wahrgenommen zu werden. Mit einem Erlebnis ist hier die Sequenz von nicht alltäglichen, positiven Ereignissen gemeint, die ein Mensch wahrnimmt und die ihm in Erinnerung bleiben.

 

Von der digitalen in die physische Welt

In einer 2016 von Eventbrite veröffentlichten Studie gaben 78 Prozent der amerikanischen Millennials an, ihr Geld lieber für Erlebnisse auszugeben, als für den Besitz von physischen Gütern. Erlebnisse sind für diese Generation so relevant, weil sie im realen Leben und über digitale Medien mit der Community von Gleichgesinnten geteilt werden können. 69 Prozent der Millennials geben an, unter dem FOMO-Phänomen (Fear of Missing Out) zu leiden. Wer zu Hause sitzt und live über Snapchat mitverfolgen muss, wie sich die Clique auf einem Festival vergnügt, bekommt Depressionen. Unternehmen wie Airbnb, Uber, Car2Go und Amazon sind Vorreiter der Experience Economy. Sie schaffen Markenerlebnisse, die einen fließenden Übergang von der digitalen zur physischen Realität ermöglichen. Digitale Services werden genutzt, um nicht-digitale Bedürfnisse in der realen Welt zu befriedigen. Diese Markenerlebnisse machen Spaß und sind so nutzerfreundlich gestaltet, dass sie bei den Verwendern die Erwartungen an Marken in anderen Bereichen verändern. Wer bei Amazon gewohnt ist, wie ein König behandelt zu werden, wird sich irgendwann fragen, warum es dem örtlichen Supermarkt völlig egal zu sein scheint, ob man wiederkommt. Nutzer werden einen neuen Blick auf die Qualität ihrer physischen Umgebung bekommen. Man kann dies als eine Spielart der Physikalisierung sehen, also der Übertragung von Denkweisen und Technologien aus der digitalen in die physische Welt.

 

Gestaltung der User Experience

Wie wird sich diese Entwicklung auf die Gestaltung von physischer Markenarchitektur auswirken? Bisher waren es vor allem die Gestalter der virtuellen Welt, die sich an den Modellen der Architektur orientieren haben. Begriffe wie Informationsarchitektur, Homepage oder Website sind Versuche, der abstrakten Welt des Digitalen eine physische Vorstellungskraft zu geben. Der Architekt Alexander Christopher versucht in seinem Buch Pattern Language aus dem Jahr 1977 typische, wiederkehrende architektonische (Problem-)Lösungen in einer textlichen und bildhaften Sprache zu systematisieren, die für ein Laienpublikum verständlich ist. Es wurde zu einem der einflussreichsten Werke sowohl in der Architektur als auch in der Software-Entwicklung. Als Erfinder des Begriffes 'User Experience' gilt der Kognitionspsychologe Don Norman. In seinem Buch The Design of Everyday Things (1988) stellt er den Mensch in das Zentrum des Gestaltungsprozesses. Er bemängelt Türen, bei denen man nicht weiß, ob man drücken oder ziehen soll, genauso wie überladene digitale Interfaces. Die Idee für das User Centered Design kam ihm, als er 1979 den Auftrag erhielt, die Ursachen der Havarie im Atomkraftwerk Three Mile Island zu finden. Er stellte fest, dass diese Anlagen äußerst nutzerfeindlich gestaltet sind. So ersetzten etwa die Mitarbeiter eines Meilers die Kontrollschalter durch Zapfhähne unterschiedlicher Biermarken, um sie auseinander halten zu können. In seiner Tätigkeit als Vicepresident bei Apple bezeichnete er sich nicht als Designer, sondern als User Experience Architect. Trotzdem hat sich seine Gestaltungsphilosophie bisher vor allem in der virtuellen Realität und weniger in der Gebäudearchitektur durchgesetzt. Steward Brand gilt als Erfinder des Begriffs Personal Computer. Er publizierte zwischen 1968 und 1972 den Whole Earth Catalogue, eine Art utopischer Bestellkatalog mit Computerbauteilen für Alltagsnutzer. Brandveröffentlichte 1994 das Buch How Buildings Learn. Er beschreibt darin, was Nutzer mit Gebäuden machen, nachdem sie gebaut wurden und kritisiert, wie wenig sich Architekten über Nutzerbedürfnissen Gedanken machen. Er beschreibt Gebäude als lebendige Orte, die durch ihre Nutzer permanent an neue Vorlieben angepasst werden. Brand berichtet von einer Siedlung im französischen Passac, die von Le Corbusier gestaltet wurde. Der Stararchitekt war eigentliche der Auffassung, dass sich die Bewohner an seine modernistische Vision anpassen sollen. Trotzdem hatten sie keine Scheu, selber Wintergärten anzubauen, Giebeldächer aufzusetzen und zusätzliche Fenster hinzuzufügen. Brand glaubt, dass die besten Gebäude jene sind, die aus günstigen, anpassungsfähigen Standarddesigns hergestellt werden, mit denen die Menschen vertraut sind, ähnlich der Pattern Language von Alexander Christopher.

 

Markenerlebnis inszenieren

Brand geht damit indirekt auf eine zentrale Methode der digitalen Gestaltung im Kontext der Architektur ein. Hinter den Begriffen Agil, Lean und Beta Testing verbirgt sich die Idee, dass man bei der Softwareentwicklung früh scheitern soll, um schnell Erfolg zu haben. Günstige und grobe Prototypen werden wie Hypothesen behandelt, die durch Nutzertests validiert werden. Das Feedback fließt anschließend in eine optimierte Version ein. Brand zeigt implizit, wie dies auf Architektur angewendet werden kann. Er beschreibt, wie Architekten mit ihren Kunden auf der Baustelle mit Bändern und Pappwänden die Aufteilung der Räume simulieren, um so Kundenwünsche zu erörtern. Der Gedanke, nutzerfreundlich und agil zu bauen, ist also nicht neu. Er scheint sich aber in der Architektur bisher schwerer durchzusetzen, als in anderen Bereichen. Es lässt sich aber bereits beobachten, dass das User Experience Design im physischen Raum eine größere Bedeutung erhält. Unternehmen fordern nicht mehr in erster Linien eine klassisch architektonische Lösung, sondern die Gestaltung eines Markenerlebnisses. Die Architektur ist dann ein Werkzeug für den Erlebnisprozess neben vielen anderen wie digitalen Medien, menschlicher Interaktion und Services. Indem der Fokus auf das vom Kunden wahrgenommene Erlebnis gerichtet wird, können die physischen und digitalen Touchpoints nahtlos integriert werden. Um räumliche Markenerlebnisse zu entwickeln, können Bauherren neben klassischen Architekten auf prozessorientierte Gestalter zurückgreifen wie Experience Designer, Service Designer, Design Thinker oder Spatial Designer. Diese brauchen dabei zukünftig vor allem drei Fähigkeiten:

· Das Vermögen, empathisch zu denken, die Perspektive zu wechseln und sich in die Position des Nutzers zu versetzen.

· Ein Verständnis für die zeitliche Dimension eines räumlichen Markenerlebnisses. Erlebnisse sind Prozesse. Sie haben mehr mit der Dramaturgie eines Theaters als mit einer statischen Kubatur zu tun.

· Den Mut und die Offenheit, Ideen in einem frühen, unfertigen Zustand mit Nutzern zu testen. Damit können Fehlplanungen vermieden und nutzerfreundliche Optimierungen rechtzeitig vorgenommen werden.

 

Vier Phasen der Entwicklung

User Experience Design im Raum kann in alle Leistungsphasen der Architektur integriert werden. Man kann dabei zwischen vier Phasen unterscheiden:

1) Research und Analyse

2) Definition des strategischen Leitgedankens

3) Design von Prototypen und deren Test

4) Definition von Leistungsanforderungen für die Implementierung

In der Research- und Analyse-Phase begeben sich User Experience Designer ähnlich wie Ethnografen zur Beobachtung in den realen Nutzeralltag. Für die Entwicklung der Retail-Architektur verschiedener Automobilhersteller begab sich Strategy & Space zum Beispiel mit User Experience Design: Die Architektur ist ein Werkzeug für den Erlebnisprozess und muss als räumliches Markenerlebnis inszeniert werden einem interdisziplinären Team, bestehend aus Geisteswissenschaftlern, Designern und Architekten als Kaufinteressenten in Autohäuser des Auftraggebers und seiner Wettbewerber. So konnte das Team Potenziale und Barrieren des bestehenden Kundenerlebnisses freilegen. Denn häufig ist es nicht die Form der Autohäuser, sondern es sind die Begegnungen zwischen Mitarbeitern und Kunden, also die Prozesse und Abläufe im Autohaus, die mit Hilfe der Architektur geändert werden müssen. Ein weiterer Aspekt ist die Analyse der historischen DNA der Automarke. Es gilt, ein tiefes Verständnis für die Organisation zu entwickeln. Die ethnografische Betrachtungsweise und die Marken-DNA sind die Quelle für den strategischen Leitgedanken und die Grundprinzipien des Kundenerlebnisses.

 

Prototypen helfen bei der Fehleridentifizierung

Sobald die Strategie mit dem Bauherren vereinbart ist, kann mit der Entwicklung der Prototypen begonnen werden. Mit Hilfe von einfachen Mitteln wie Kartons, Bierbänken und Bettlaken werden die wichtigsten Touchpoints in der Form von Rollenspielen dialogisch nachgespielt und gefilmt. Diese Szenen sind Grundlage für die Customer Journey. Es gilt zu erfassen, wie sich die Kunden durch das Autohaus bewegen. Die Journey wird durch comicartig illustrierte Szenenabläufe (Storyboards) ergänzt. Dadurch entsteht ein Leitbild für die User Experience im physischen Raum. Die menschliche Interaktion, das Interior Design, die digitalen Medien und die Hochbauarchitektur werden anschließend als unterstützende Hilfsmittel für die neuralgischen Berührungspunkte im Kundenerlebnis ganzheitlich ausgestaltet. Das Autohaus wird zu einer Bühne für eine offene, menschliche Begegnung. Damit wird es den Mitarbeitern erleichtert, auf die Produktbedürfnisse des Kunden einzugehen und ein tief gehendes Produktwissen zu vermitteln. Die ästhetisch-künstlerische Komponente des Interieurs und der Fassade sind Bestandteil einer analytisch-kreativen Auseinandersetzung über die Markenwerte mit den Architekten. In einem intensiven und konzentrierten Prozess ergibt sich eine Übersetzung der Marken-DNA in eine architektonische Form.

Physische Markenarchitektur kann agil gestaltet und über Prototypen getestet werden. In der einfachsten Form können auf einem Stück Papier die zentralen Wertversprechen der Markenarchitektur verschriftlicht werden. Storyboards bis hin zu physischen Probeaufbauten sind detaillierte Varianten die Nutzern vorgelegt werden können. Leider findet dieses Vorgehen in der markenarchitektonischen Praxis selten statt. Die Folge ist häufig, dass Fehler erst entdeckt werden, wenn der Entwurf bereits sehr detailliert ausgearbeitet oder fertiggestellt wurde. Eine Korrektur ist dann oft nicht mehr möglich oder mit hohen Kosten verbunden.

 

Zusammenarbeit ist wichtig

In einem Projekt für die Neugestaltung von Bankfilialen hat Strategy & Space mit einem Architekturbüro nach der Entwicklung der Customer Journey einen Nutzertest mit einem Probeaufbau durchgeführt. In einem leeren Raum wurden Vorvarianten der wichtigsten Elemente der Filialeinrichtung aufgebaut: Beratungstische, Stühle, Bänke, Kundenleitsystem, Aktionstresen etc. Außerdem wurden die räumlichen Entwürfe präsentiert. Mitarbeiter und Kunden wurden eingeladen, die Einrichtung ausführlich zu testen. Anschließend konnten in einem co-kreativen Workshop mit Nutzern, Architekten und dem Management auf dieser Basis Verbesserungen im Bereich Ergonomie, Sicherheit sowie digitale Medien entwickelt werden. Die Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern, Architekten und User Experience Designern ist eine Chance, physische Markenarchitektur zu erschaffen, die menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, nützlich ist, Spaß macht und effizient zu realisieren ist.

Erschienen in Markenartikel Magazin November 2017